Quintstimmung

Den umfangreichen Forschungen des französischen Kontrabassisten Paul Brun ist es zu verdanken, dass die Rolle und Funktion, die der Kontrabass im Lauf der Geschichte eingenommen hat, neu diskutiert werden kann. Er vertritt die Auffassung, dass der Kontrabass ursprünglich kein Zwitter aus Gamben- und Violininstrumenten gewesen sei, sondern von Anfang an als Mitglied der Violinfamilie mit der Grundidee eines klaren, kräftigen Klanges und der Quintstimmung C-G-D-A konzipiert worden sei. Letztere wurde Brun zufolge nur aufgegeben wegen der unzureichenden Qualität der Saiten und der Anforderung sehr häufiger Lagenwechsel, die durch die Größe des Instruments bedingt sind. (Trotzdem hat sie sich über 300 Jahre lang gehalten und wurde immer wieder, u.a. vom Erfinder des Saxophons Adolphe Sax, als die bessere Stimmung bezeichnet).

Und in der Tat: Die noch kleine (allerdings stetig größer werdende) Gruppe der Kontrabassisten, die zu einer Renaissance der Quintstimmung beitragen, erlebt eine faszinierende „Befreiung“ ihres Instruments. Der amerikanische Jazz-Bassist Red Mitchell (1927-1992, Foto) war der erste Kontrabassist der neueren Zeit, der damit experimentierte. Kurioserweise führten ihn Versuche mit einem in Quarten gestimmten Violoncello auf die Fährte der aus damaliger Sicht „neuen Stimmung“: Er beobachtete, dass sich der Klang des Cellos negativ veränderte, wenn es in Quarten gestimmt war, und zog daraus den Schluss, dass es dementsprechend für den Klang des Kontrabasses positiv sein könnte, wenn dieser in Quinten gestimmt sei. Er hatte recht mit seiner Vermutung und war so begeistert von dem offenen, resonanten Klang des Instruments und der Möglichkeit, das Kontra-C ohne Fünfsaiter oder komplizierte Mechanik erreichen zu können, dass er seine Technik sofort umstellte. Allerdings hatte er als improvisierender Jazz-Musiker einen Vorteil gegenüber seinen klassischen Kollegen, die an einen vorgegebenen Notentext gebunden sind. Unter diesen war der Kanadier Joel Quarrington ein Pionier, der zunächst nur sehen wollte, „wie es sich leben lässt ohne Extension“ (-Mechanik). Über seine Erfahrungen mit der Quintstimmung schreibt er: „Die Physik ist anders, weil man mit dem Rest der Streichergruppe mehr verbunden ist.“ Quarrington ist der Meinung, dass nur mit der Quintstimmung eine harmonische Intonation im Streicher-Ensemble zu erzielen ist: „Es ist unmöglich, den quartgestimmten Kontrabass zu stimmen – wenn man die Quarten perfekt einstimmt, ist die E-Saite zu tief und passt nicht zu den leeren Saiten der anderen Streicher, weil die Verhältnisse natürlich auf den Kopf gestellt sind.“

Der amerikanische Kontrabassist Dennis Masuzzo dürfte der erste gewesen sein, der eine fundierte systematische Einführung in das Spiel auf dem quintgestimmten Bass herausgegeben hat: „Playing the Double Bass Tuned in Fifths C-G-D-A“ (2004). Darin schreibt er über seine ersten Versuche: „Ich benutzte einen billigen Sperrholz-Bass, um mit der Quintstimmung zu experimentieren. Der hatte damit eine solche Obertonresonanz, wie ich sie noch nie erlebt hatte – ich wurde süchtig!“

Tatsächlich fällt es schwer, nicht enthusiastisch über die Quintstimmung zu schreiben, so deutlich sind neben den klanglichen ihre weiteren Vorzüge:

  • Man benötigt nur noch ein Instrument für das gesamte Repertoire an Orchester-, Solo- und Kammermusik-Literatur. Es ist nicht nötig, einen Kontrabass in E-A-D-G, einen in Fis-H-E-A und womöglich noch einen Fünfsaiter zur Verfügung zu haben.
  • Die Original-Literatur der vor 1800 geschriebenen Solowerke ist mit der Quintstimmung wesentlich besser zu realisieren als mit der Quartstimmung.
  • Man spielt immer in C, es gibt keine Transpositionen mehr wie bei der Solostimmung.

Natürlich hat die Quintstimmung auch Nachteile. Sekund- und kleine Terz-Doppelgriffe lassen sich nur schwer realisieren (während Quarten, Quinten und Sexten gegenüber der Quartstimmung besser liegen und sogar Septimen als Doppelgriff gespielt werden können) und manche Tonarten liegen nicht sehr vorteilhaft. Ein weiterer Nachteil ist weniger in der Stimmung selbst als in der wechselvollen Geschichte des Kontrabasses und den uneinheitlichen Systemen begründet: Werke, die speziell für den quartgestimmten Solo-Kontrabass geschrieben worden sind, können in Quintstimmung mitunter nur schwer oder gar nicht gespielt werden (wenngleich Quarrington mit seiner ersten CD eindrucksvoll bewiesen hat, dass sich, zumindest für ihn, auch Bottesini spielen lässt).

Mehr Lagenwechsel sind nur mit dem traditionellen Fingersatzsystem erforderlich (bei Anwendung der Vier-Finger-Technik sind es eher weniger als mehr), doch auch damit lässt sich die Stimmung, wie Dennis Masuzzo aufzeigt, gut beherrschen.

Als Variante der C-G-D-A Stimmung spiele ich, sozusagen als „Solo-Quintstimmung“ auch die ebenfalls historische belegte Stimmung G-D-A-E. Details hierzu finden Sie in der Rubrik Mein Bassetto.

Mehr zur Quintstimmung finden Sie hier.