Zwei, drei oder vier Finger?

Warum zwei, drei oder vier Finger, fragen Sie sich vielleicht, hat doch ein gesunder Mensch fünf davon an jeder Hand! Gemeint sind natürlich die zum Greifen benutzbaren Finger, also Zeigefinger (1), Mittelfinger (2), Ringfinger (3) und kleiner Finger (4). Da die ersten Kontrabass-Schulen um 1800 entstanden sind, ist man, was die Erforschung von Kontrabass-Applikaturen der weiter zurückliegenden Epochen anbelangt, auf die Auswertung der wenigen vorhandenen Schriften und zeitgenössischen Berichte, auf Abbildungen und vor allem die Analyse der für Kontrabass geschriebenen Orchester-, Kammermusik- und Solostimmen angewiesen.

Diese Quellen zeigen, dass ebenso wie in der heutigen Zeit es keine einheitliche Applikatur beim Kontrabass-Spiel gegeben haben dürfte, da diese abhängig war von

  • der Leistungsfähigkeit der Spieler
  • der Musikgattung
  • der Region
  • der Größe und Saitenzahl des Instruments

sowie davon, ob Bünde vorhanden waren oder nicht.

Man kann davon ausgehen, dass Welten gelegen haben zwischen dem Niveau der sogenannten „Handschuh“- Benutzer mit dem von ihnen oft angewendeten „Faustgriff“ (bei dem nur zwei Finger zum Einsatz kamen und der immer noch nicht ausgestorben ist!) und dem der Virtuosen der Wiener Klassik, allen voran Johann Matthias Sperger (1750-1812). Von Sperger ist belegt, dass er in tiefen Lagen das System 1-2-4 für zwei Halbtöne benutzt hat, ab der Quarte der leeren Saite aber die chromatische Applikatur 1-2-3-4 angewandt hat, mit den Varianten 1-3-4 für die Folge Ganzton-Halbton, 1-2-4 für die Folge Halbton-Ganzton sowie für zwei aufeinanderfolgende Ganztöne. Domenico Dragonetti (1763-1846) bevorzugte durchgängig das 1-2-3-4 System (chromatisch), sogar unter Mitbenutzung des Daumens in allen Lagen, wie Francesco Caffi (1778-1884), der bedeutende Chronist der venezianischen Musik, berichtete. Mit dieser Technik gelang es Dragonetti 1799, Ludwig van Beethoven mit seiner Kontrabass-Version von dessen Sonate op. 5 Nr. 2 derart zu beeindrucken, dass letzterer Spieler samt Kontrabass umarmte – so zumindest die gerne erzählte Überlieferung.

In Correttes „Méthode pour apprendre à jouer de la Contrebasse“ (1773) wird der Fingersatz 1-2-3 verlangt, wie es bereits B. Bismantova mit den „Regole per suonare il Contrabasso“ (1694) getan hatte. Ein gewisser Dr. Nicolai lehrte in seinem „Spiel auf dem Contrabass“ (1816) Dragonettis Fingersatz 1-2-3-4. Wenzel Hause (1764-1874) war der erste, der in seiner bedeutenden, dreibändigen „Contrabaß-Schule“ (1809) die Applikatur 1-2-4 für zwei Halbtonschritte und damit erstmalig die Auslassung des dritten Fingers forderte, wenngleich er im dritten Band dennoch an Spergers System 1-2-4 für die Tonfolge Halbton-Ganzton anknüpfte. Friedrich Christoph Franke veröffentlichte ca. 1820 die „Anleitung, den Contrabaß zu spielen“ und propagierte darin ebenso wie Dr. Nicolai das Dragonetti-System 1-2-3-4. Damit waren erstmalig zwei konkurrierende Systeme im Umlauf. Vermutlich dürfte Hauses Schule mehr Anhänger gefunden haben, weswegen Franke seine Methode in der „Neuen Zeitschrift für Musik“ (Nr. 34 vom 17.01.1851) verteidigte: „Es ist schwerlich etwas natürlicher als zu den zwischen den Saiten liegenden vier Tönen alle vier zum Greifen dienenden Finger gleichmäßig zu gebrauchen.“

Parallel zu dem in Deutschland sich immer mehr durchsetzenden 1-2-4 System kam in Italien die Variante 1-3-4 auf, die erstmalig von Bonifazio Asioli (1769-1832) in seinen „Elementi per il Contrabasso“ (1820) publiziert wurde. Giovanni Bottesini (1821-1889) stützt sich in seiner „Metodo di Contrabasso“ (1869) ebenfalls auf diesen Fingersatz.

Wenige Jahre später veröffentlichte der Solobassist des Wiener Hofopern-Orchesters Franz Simandl (1840-1912) die „Neueste Methode des Kontrabaß-Spiels“. Simandl war ein „Enkel-Schüler“ von Wenzel Hause und vermittelte dessen Zweihalbton-Applikatur, verzichtete allerdings auf Hauses Halbton-Ganzton Griffweise 1-2-4. Vielleicht war die Einfachheit und klare Gliederung des Schulwerkes der Grund für dessen Erfolg, denn bis heute wird das „Simandl-System“ von der überwältigenden Mehrheit aller Kontrabassisten angewandt. Schon wenige Jahre nach seiner Drucklegung war es so verbreitet, dass der Hamburger Kontrabassist Friedrich Warnecke (1856-1931) die Vier-Finger-Methode „Neue Schule des Kontrabaßspiels“ (1888) wegen heftiger Angriffe seiner Gegner zurückzog und sich erst 1909 im Rahmen seines Werkes „Ad Infinitum“ wieder darauf bezog. Letzteres hat allerdings dem weiteren Erfolg der Simandl-Schule und dem Schattendasein, welches das ehemals so erfolgreiche 1-2-3-4 System von nun an fristen sollte, keinen Abbruch getan.